Mit dem „Zwöf-Null-Drei“ machte Škoda die Tschechoslowakei mobil

Mit dem „Zwöf-Null-Drei“ machte Škoda die Tschechoslowakei mobil
15. 7. 2024 Oldtimer

Erinnern Sie sich an den T1? So hieß der erste VW Bulli. Mit ihm startete Nachkriegsdeutschland in die Wirtschaftswunderjahre. Als Transporter, Pritschenwagen, Bus zur Personenbeförderung, Urlaubsmobil oder Camper eroberte der Bulli das Herz seiner Besitzer im Sturm. Einen ähnlichen Kultstatus wie der Allrounder aus Wolfsburg erlangte der Škoda 1203 in der damaligen Tschechoslowakei. Auch er war ein Multitalent, das seine Besitzer mit Vielseitigkeit und Zuverlässigkeit begeisterte. Am 20. November 1968 verließ der erste serienmäßige „Zwölf-Null-Drei“ das von Grund auf modernisierte Škoda Werk in Vrchlabí, dem Tor zum Riesengebirge. Noch heute ist die automobile Ikone ein begehrtes Sammlerobjekt.

Die üblichen Pkw-Umbauten stießen an ihre Grenzen

Zwölf Jahre vor dem Start der Produktion hatte die staatliche Planungskommission der Tschechoslowakei den Škoda Ingenieuren in Vrchlabí den Auftrag zur Konstruktion eines völlig neuen, modernen und großen Nutzfahrzeugs erteilt. Der Bedarf war groß. Denn die langjährige Praxis, Pkw zu Nutzfahrzeugen umzurüsten, war längst an ihre Grenzen gestoßen. Dass die Entwicklung des heiß ersehnten Transporters rund ein Dutzend Jahre gedauert hat, war vor allem den Tücken der zentral gesteuerten Planwirtschaft und Engpässen bei der Materialbeschaffung geschuldet.

IMG20686_300dpi_PM4224_20240709_9b8bb052 Der Škoda 1203 als Pritschenwagen

Premiere im Schatten der Besetzung

Aller Widrigkeiten zum Trotz feierte der Škoda 1203 schließlich am 14. September 1968 auf der Maschinenbaumesse in Brünn seine Premiere. Überschattet wurde das Debüt von der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Armeen von fünf Staaten des Warschauer Pakts, die am 21. August 1968 als Reaktion auf die Freiheitsbewegung des „Prager Frühlings“ in das Land einmarschiert waren.

Innovationen sorgten für großes Aufsehen

Dennoch sorgte der neue Škoda 1203 mit seinen technischen Innovationen für großes Aufsehen. Maßstäbe setzte der Transporter unter anderem mit seiner selbsttragenden Karosserie, der wegweisenden Frontlenker-Konstruktion, der platzsparenden Motorenanordnung unter den Vordersitzen, dem One-Box-Design und der Einzelradaufhängung, die dem Fahrkomfort auf den schlechten Straßen der Tschechoslowakei zugutekam. Der Verzicht auf das bis dahin übliche Chassis mit Zentralrohrrahmen ermöglichte ein außergewöhnlich großes Raumangebot und eine großflächige Verglasung des Fahrzeugs.

180914-SKODA-1203-4-1920x1440_cf61c3b0Genügend Platz ...

180914-SKODA-1203-1-1920x1023_76efbce6... bei jeder Gelegenheit.

35 kW/47 PS und 750 Kilogramm Nutzlast

Bei den ersten „Zwölf-Null-Drei“, die Ende 1968 auf den Markt kamen, handelte es sich um Kastenwagen mit einem 5,3 Kubikmeter großen Laderaum. Der Zugang erfolgte bequem durch eine seitliche Schwenktür und eine horizontal geteilte Heckklappe. Eine Blechwand mit Sichtfenster trennte die zweisitzige Fahrerkabine vom Laderaum. Der OHV-Vierzylindermotor des 1203 mit 1,2 Litern Hubraum mobilisierte 35 kW/47 PS. Trotz der aus heutiger Sicht moderaten Leistung besaß das aus dem Škoda 1202 abgeleitete Aggregat genügend Kraft, um 750 Kilogramm Nutzlast zu befördern. Derart motorisiert erreichte der Transporter aus Vrchlabí eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h.

Zum 20. Geburtstag spendierte Škoda seinem Lastesel einen größeren Motor mit 1,4 Litern Hubraum und 42 kW/57 PS, ein neues Fünfgang-Schaltgetriebe, eine Zweikreisbremsanlage und kleinere Designmodifikationen. Ab 1996 bot Škoda für den 1203 auch einen Vierzylinder-Dieselmotor von Volkswagen mit 1,9 Litern Hubraum an.

Vom Minibus bis zum Feuerwehrauto

Ähnlich wie VW bei seinem Bulli ergänzte Škoda den begehrten Kastenwagen im Laufe der Jahre um viele praktische Varianten. So zählten zur Modellfamilie schließlich ein Minibus in Standard- und Deluxe-Version mit Platz für bis zu acht Personen, ein teilverglaster Kombi sowie Pritschenwagen, Krankentransporter und Bestattungsfahrzeuge. Mehrere Dutzend 1203 baute Škoda zum Beispiel für die speziellen Bedürfnisse von Feuerwehr und Tierärzten um. Prototypen für Kühlfahrzeuge und Campingmobile basierten ebenfalls auf dem Škoda 1203. Zahlreiche internationale Auftritte erlebten ab 1971 zwei verlängerte Sonderanfertigungen. Sie dienten als Renntransporter für die Škoda 100 L, die bei der Tourenwagen-Europameisterschaft starteten.

1203_33ff4b21-1440x935_9b82c9ba Auch als Krankenwagen im Einsatz: der Škoda 1203

Neue 1203 blieben Privatkunden verwehrt

Im Gegensatz zum VW Bulli, mit dem viele Familien die Welt entdeckten, blieb der neue Škoda 1203 in der zentralen Planwirtschaft der Tschechoslowakei nur staatlichen Unternehmen, Organisationen und Genossenschaften vorbehalten. Für den Erwerb mussten Interessenten den Beamten der staatlichen Planungskommission einen Antrag zur Prüfung vorlegen. Im Falle einer Genehmigung stellte die Behörde einen Gutschein aus, mit dem die jeweilige Organisation das Fahrzeug bestellen und kaufen konnte. Privaten Kunden blieb ein neuer „Zwölf-Null-Drei“ hingegen verwehrt. Sie mussten sich allenfalls mit einem Gebrauchtfahrzeug aus Staatsdiensten zufriedengeben. „Trotzdem wurde der 1203 für praktisch jeden Bürger der Tschechoslowakei zu einem unverzichtbaren Teil des täglichen Lebens“, weiß Andrea Frydlová, Leiterin des Škoda Museums am Stammsitz des Unternehmens in Mladá Boleslav.

Frei verkäuflich war der Škoda 1203 hingegen auf den Exportmärkten in Frankreich, Belgien, Ägypten und der Türkei. In der Türkei wurde der 1203 bis zur Unkenntlichkeit zu einem robusten Pick-up umgebaut.

Einzug hielt der „Zwölf-Null-Drei“ auch in viele Kinderzimmer. Das Sortiment der beliebten Spielzeugminiaturen stand dem des Originals nicht nach. Die Palette der Modelle reichte vom Feuerwehrfahrzeug über Werkstattwagen bis zum Polizeiauto. Vielleicht schauen Sie einmal in den Škoda Shop. Dort gibt es zwei schöne 1203-Replikate der Baujahre 1968 und 1974 im Maßstab 1:43.

MVF03_254_NEU_4bcc_dd67b362 Modellauto Škoda 1203 (1968)

6U0099300_645_1_Modellauto_Skoda_1203_Rot_72ee_3df0bc3e Modellauto Škoda 1203 (1974)

Produktion wechselte zu Trnava Automobile Works (TAZ)

Im August 1999 lief der letzte 1203 unter der Bezeichnung TAZ im slowakischen Trnava vom Band. Dorthin war die Produktion des Transporters 1981 aufgrund eines Regierungserlasses ausgelagert worden. In dem Werk waren zuvor bereits Komponenten des Transporters gefertigt worden. Während die Trnava Automobile Works (TAZ) zunächst an der im Markt etablierten Modellbezeichnung festhielten, lösten sie ab 1993 den Škoda 1203 ab. Zwischen 1968 und 1981 hatte Škoda in Vrchlabí insgesamt 69.727 „Zwölf-Null-Drei“ produziert. In Trnava waren rund 89.000 Exemplare der unterschiedlichsten Varianten hergestellt worden.

Ikone der Automobil- und Popkultur

In seiner Heimat gilt der Škoda 1203 bis heute als Ikone der Automobil- und Popkultur – und das nicht nur, weil er fast ein Vierteljahrhundert lang praktisch eine Monopolstellung auf dem heimischen Nutzfahrzeugmarkt einnahm. Vielmehr wurde er auch als Star in vielen tschechoslowakischen Film- und Fernsehproduktionen unsterblich.

Wie würden wohl die legendären Autos aus der Geschichte von Škoda aussehen, wenn sie ein Designer heute zeichnen würde? Dieser Frage widmete sich das Škoda Design Team vor einigen Jahren und präsentierte seine modernen Interpretationen der historischen Ikonen – darunter auch ein Škoda 1203 von Designer Daniel Hajek. Sein futuristischer Entwurf ähnelt auf den ersten Blick dem ID.Buzz, womit sich der Kreis zu Volkswagen schließt.

201130_1203_DENI_Daniel-Hajek_Poster-2_V1_Blue_Merged-Groups-1440x675_3133a0a6  Daniel Hájeks Neugestaltung des Škoda 1203