Als der ŠKODA 1101 am Montag, den 6. Mai 1946, in Mladá Boleslav erstmals vom Band rollte, war ŠKODA bereits seit rund 10 Jahren der größte tschechische Automobilhersteller und -exporteur – eine Position, die das Unternehmen bis heute ungebrochen hält. Der „Tudor“ knüpfte nahtlos an die erfolgreichen Modelle POPULAR sowie RAPID an, wobei er sich vom POPULAR 1101 aus dem Jahre 1940 nicht nur durch sein modernes Karosseriedesign unterschied. So legte man beim während des Zweiten Weltkriegs geheim entwickelten „Tudor“ etwa einen Schwerpunkt auf verbesserte Verkehrssicherheit. Dies gelang unter anderem durch den Einsatz leistungsstarker Hydraulikbremsen und hydraulischer Stoßdämpfer an der Vorderachse, die darüber hinaus das Komfortniveau auf ein neues Level hoben. Hinzu kam ein spürbares Komfortplus in Sachen Geräuschniveau, das man wiederum durch die Kombination des hölzernen Karosserieskeletts mit natürlichen Dämmmaterialien sowie die Verwendung von Wollstoffbezügen erreichte.
Clever konstruiert: Leichter Zentralrohrrahmen und Rundum-Einzelradaufhängung
Als Basis des modern gestalteten Fahrzeugs diente ein steifer und dabei relativ leichter Zentralrohrrahmen mit Rundum-Einzelradaufhängung. Für den Vortrieb sorgte ein kräftiger OHV-Vierzylinder-Ottomotor mit 1.089 cm3 Hubraum. Er leistete 23,6 kW (32 PS) bei 4.600 min-1 und verfügte über austauschbare „nasse“ Zylinderlaufbuchsen, die dank direkter Wasserkühlung den Service erleichterten. Als viersitzige Basisausführung mit zweitüriger geschlossener Karosserie (Außenabmessungen 4050 x 1500 x 1520 mm) brachte der „Tudor“ lediglich 940 kg auf die Waage. All dies ermöglichte eine für damalige Verhältnisse beachtliche Höchstgeschwindigkeit von bis zu 100 km/h – bei einem moderaten Verbrauch von rund acht Litern. 200 mm Bodenfreiheit sorgten zusammen mit der robusten Fahrwerkskonstruktion dafür, dass der ŠKODA selbst in leichtem Gelände eine gute Figur machte. Eben jene Vielseitigkeit war es, die dem Neuen aus Mladá Boleslav auch den Weg auf die amerikanischen, afrikanischen oder asiatischen Märkte ebnete.
Der „Tudor“ war in verschiedenen Karosserievarianten erhältlich. Um die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden im In- und Ausland bestmöglich zu bedienen, kam neben dem Zweitürer noch eine viertürige Limousine hinzu, die einen bequemeren Einstieg in die zweite Sitzreihe erlaubte. Das Angebot an offenen Karosserien umfasste das beliebte „Tudor-Cabriolet“ mit Textil-Faltdach und in festen Rahmen gefassten Türen sowie eine elegante Roadster-Version. Für eher praktische Bedürfnisse ließ sich der „Tudor“ auch mit Lieferwagen-Karosserie oder als Kombi „Station Wagon“ (STW) ordern. Dieser bot bei umgeklappter Rückbank eine 1.490 mm lange und 980 bis 1.380 mm breite Ladefläche.
Ein Bestseller auf Weltreise: Export in 76 Länder
Zum Preis von 67.700 Kronen ging der ŠKODA 1101 ab Mai 1946 auf dem tschechoslowakischen Markt in den Verkauf, allerdings ohne Bereifung. Schließlich waren Pneus damals kriegsbedingt noch Mangelware und nicht im Lieferumfang enthalten. Angesichts der schwierigen Situation mussten die Kunden zudem einen speziellen Bezugsschein vorlegen, der sie zum Kauf eines neuen Wagens berechtigte. Die Karriere des ŠKODA 1101 endete im März 1952 – und damit paradoxerweise vier Monate später als die des seit 1948 gebauten, modernisierten Modells 1102. Der ŠKODA 1102, der ebenfalls den Spitznamen „Tudor“ trug, unterschied sich von seinem Vorgänger auf den ersten Blick durch modifizierte Stoßfänger und den etwas schlichteren Kühlergrill. Im Innenraum bescherte die Verlagerung des Schalthebels an die Lenksäule Fahrern und Beifahrern mehr Beinfreiheit. Insgesamt wurden zwischen 1946 und 1952 insgesamt 66.904 „Tudors“ in ziviler Ausführung gebaut. Über 65 Prozent aller Fahrzeuge der Typen ŠKODA 1101 und 1102 gingen an ausländische Kunden. 1951 umfasste die Liste der Exportnationen bereits 76 Staaten. Zu den bedeutendsten Einzelmärkten zählten neben Polen, den Niederlanden, Belgien und der Bundesrepublik Deutschland auch weit entfernte Länder wie Australien, Brasilien, Indien, die Südafrikanische Union oder Kanada. Parallel dazu vertrauten nicht nur Sicherheitskräfte in der Tschechoslowakei auf die Kübelwagen-Derivate mit der Bezeichnung ŠKODA 1101 VO (vojenský otevřený – offener Militärwagen) und 1101 P (pohotovostní – Bereitschaftswagen), von denen über 4.000 Exemplare weltweit ausgeliefert wurden.
Erfolgreich im Motorsport: Klassensieg beim 24-Stunden-Rennen im belgischen Spa
Auch auf den Rennstrecken dieser Welt verzeichnete der ŠKODA 1101/1102 viele bedeutende Erfolge. Einer davon datiert auf den 11. Juli 1948: Beim 24-Stunden-Rennen im belgischen Spa fuhren gleich drei vom dort registrierten Automobilimporteur Healers angemeldete „Tudors“ in ihrer Klasse einen beeindruckenden Klassensieg ein. Auch starke und langanhaltende Regenfälle konnten die Wagen, die nach 1.972 Kilometern mit knappen Abständen die Ziellinie passierten, nicht bremsen. Im Rahmen der gemeinsamen Boxenstopps verloren sie nicht viel Zeit beim Tanken, was neben dem auf 55 Liter vergrößerten Tank auch dem für Rennfahrzeuge sehr niedrigen Verbrauch von 8,1 Litern pro 100 km geschuldet war – bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 82,16 km/h. Als einziges Team absolvierte die ŠKODA Mannschaft das herausfordernde 42-h-Rennen, das nur rund die Hälfte der Teilnehmer überhaupt beendete, ohne jegliche Strafpunkte. Im selben Jahr stärkte außerdem der Sieg des uruguayischen Architekten Arturo Porro im Rennen Montevideo-Melo-Montevideo das Motorsport-Renommee der tschechischen Marke. Auf den zweiten Platz schaffte es ŠKODA AUTO Werksfahrer Borrat Fabini, der mit seinem „Tudor“ an die vielen Vorkriegserfolge mit dem ŠKODA POPULAR anknüpfte. In Europa meisterte das Werksteam um Václav Bobek, Jaroslav Netušil, Viktor Krupička und Miroslav Fousek verschiedene anspruchsvolle Rallyes wie die Raid Polski, die Schweizer Rally Interlaken oder die Österreichische Alpenfahrt.
Im September 1949 übernahm schließlich die Spezialanfertigung ŠKODA Sport mit Aluminiumkarosserie und verkürztem Radstand den Staffelstab auf den Rundstrecken von den seriennahen Fahrzeugen Š 1101/1102. Der bis zu 140 km/ schnelle Bolide behauptete sich unter anderem beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans (24. bis 25. Juni 1950), wo er 13 Stunden lang die Pole-Position seiner Klasse verteidigte und sich trotz eines technischen Defekts den fünften Platz in der Gesamtwertung sicherte. Der 1.089-cm3-Vierzylinder mit 31 kW (42 PS) bei 5.200 min-1 verbrannte ein Gemisch aus Benzin, Ethanol und Aceton. Eine weitere Entwicklungsstufe des innovativen Sportlers stellte der ŠKODA SUPERSPORT mit seiner Aluminiumkarosserie und abnehmbaren Kotflügeln dar. Er entstand im Jahr 1950 in dreifacher Ausfertigung, die Leistung des Motors stieg bis auf 88 kW (120 PS), seine Höchstgeschwindigkeit betrug 170 km/h. Ein später eingebautes Kompressor-Aggregat mit 1.500 cm3 Hubraum beschleunigte den Rennwagen auf bis zu 200 km/h. Viele Komponenten dieser Spezialfahrzeuge – etwa der hochwertige Kurbelmechanismus des Motors, die Kupplung, das Getriebe und weitere Baugruppen – stammten unmittelbar aus der Serienversion ŠKODA 1101/1102 „Tudor“. Sie ließen sich leicht für die Renneinsätze modifizieren und stellten dabei zugleich ihre eindrucksvolle Robustheit selbst bei härtesten Belastungen unter Beweis.
Das Erbe der erfolgreichen „Tudors“ traten im Jahre 1952 die „Sedans“ an, wie man die Modelle ŠKODA 1200/1201 nannte, drei Jahre später gefolgt von den „Spartaks“ (Š 440/445). Den Höhepunkt der Entwicklung von Fahrzeugen mit Zentralrohrrahmen markierten schließlich die beiden populären Modelle OCTAVIA und FELICIA, dessen Karriere erst kurz vor Weihnachten 1971 zu Ende ging.