Die Fähigkeit, seinen Kunden auch bei besonderen Anforderungen „schlüsselfertige“ Lösungen anzubieten, war seit jeher Teil des Erfolgsrezepts von L&K. Das galt auch für die Nutzfahrzeuge, die das 1895 von Václav Klement und Václav Laurin als Fahrrad-Reparaturwerkstatt gegründete Unternehmen schon bald produzierte. Tatsächlich war es bereits 1907 zum größten Automobilproduzenten der damaligen Doppelmonarchie Österreichisch-Ungarn aufgestiegen und exportierte 70 Prozent seiner Produkte ins Ausland.
Daher verwunderte es nicht, als L&K eine interessante Anfrage aus Montenegro erreichte: Das südeuropäische Fürstentum suchte geeignete Fahrzeuge für den Transport von Fracht und Fahrgästen auf verschiedenen Postlinien von Podgorica nach Cetinje, Nikšić und Plavnica in der heutigen Slowakei sowie von Cetinje in die Hafenstadt Kotor. an der Adriaküste. Der Gewinner der Ausschreibung sollte für die folgenden 15 Jahre einen Exklusivvertrag für das komplette Landesterritorium erhalten. Neben Laurin & Klement bewarben sich auch italienische Automobilhersteller um den Auftrag.
Eine anspruchsvolle Aufgabe, wie L&K-Generaldirektor Václav Klement bei einer Besichtigung vor Ort feststellte: Die engen Straßen im gebirgigen Hinterland des Balkan-Staats waren neben steilen Anstiegen und Gefällestrecken auch von unzähligen Kurven mit oftmals sehr kleinen Radien geprägt. Diese landschaftlichen Besonderheiten würden ganz spezielle Fahrzeugkonstruktionen erfordern.
Als Basis für die „Černá Hora-Montenegro“-Modelle wählten die Böhmen den L&K Typ E – das leichte Nutz- und Personenfahrzeug wurde in Mladá Boleslav bereits seit 1906 produziert. Wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Spezialanfertigungen hatte der damals erst 25-jährige, hochtalentierte und sehr kreative Konstrukteur František Kec. Und unkonventionelle Lösungen waren aufgrund des speziellen Anforderungsprofils gefragt: Dies begann bereits bei den ungewöhnlichen Abmessungen. Ein auf 70 Zentimeter verengtes Vorderteil des Typ-E-Rahmens ermöglichte eine 1.300 Millimeter schmale Spur an der Vorderachse. Sie erlaubte einen so großen Lenkeinschlag der Vorderräder, dass die LKW und Busse selbst scharfe, enge Kurven im ersten Anlauf durchfahren konnten, ohne zurücksetzen oder rangieren zu müssen. Der außerordentlich kurze Radstand von 2.210 Millimetern war dabei ebenso wichtig wie die knapp bemessenen Karosserie-Überhänge von 450 Millimetern vorn und 1.030 Millimetern hinten.
Die kompakten Außenmaße der Typ E-Nutzfahrzeuge verlangten auch bei der Raumnutzung nach innovativen Ideen, denn das seinerzeit übliche Grund-Layout mit Frontmotor und dahinter positioniertem Chauffeur schränkte den verfügbaren Raum für Personen und Pakete angesichts der sehr kurzen Gesamtlänge von 3,69 Metern stark ein. Die Lösung brachte ein fortschrittliches Konzept, das bis heute zur Anwendung kommt: L&K ordnete den Fahrersitz über dem Motor an – damit gingen die „Černá Hora-Montenegro“-Modelle als Vorläufer der heutigen Frontlenker-LKW in die Geschichte ein. Fahrer und Beifahrer saßen in 1,68 Meter zwar in luftiger Höhe über dem Boden, doch auf den Strecken der montenegrinischen Postlinien gab es keine niedrigen Tunnel und die geringen Geschwindigkeiten zwischen 20 und 30 km/h gefährdeten die Fahrstabilität der 2,82 Meter hohen Mobile nicht allzu sehr.
Als Antrieb diente ein fortschrittlich konstruierter, 25,7 kW (35 PS) starker Vierzylinder mit 4.652 cm3 Hubraum, der sich durch jeweils zwei getrennte Zylinder- und Kurbelgehäuse auszeichnete. Sein ausgereifter „T“-Zylinderkopf besaß eine Seitenventilsteuerung und die Ein- und Auslassventile befanden sich jeweils auf gegenüberliegenden Seiten des Zylinderkopfs, was eine zweite Nockenwelle erforderte. Auch die wirksame Umlauf- anstelle einer Verlustschmierung sowie der große Kühler mit Lüfter und Wasserpumpe machten den längs eingebauten Motor zu einer innovativen Konstruktion. Die Kraftübertragung an die Hinterachse erfolgte durch eine Kegelkupplung mit Lederbelag und ein direkt geschaltetes Vierganggetriebe. Im Heck sorgte ein 830 Millimeter hinter den doppelt bereiften Holzrädern angeordnetes Differenzial über stoßdämpfende Ketten für den Antrieb. Vollgummi-Pneus lösten das Problem der damals sehr häufigen Reifenpannen.
Die L&K-Entwicklungen auf Basis des Typ E überzeugten, im Juli 1908 wurde schließlich der Vertrag mit dem montenegrinischen Innenministerium unterzeichnet. Schon einen Monat zuvor hatte in Mladá Boleslav die Herstellung von sechs Omnibussen, einem Pritschen- und zwei Lieferwagen mit Kofferaufbau des Typs E begonnen. Im November 1908 war der Fertigungsprozess beendet: Die Personentransporter boten fünf Passagieren Platz, die in einer geschlossenen und von Fahrer- und Beifahrerraum getrennten Kabine mit zwei Türen und vier Fenstern reisten. Im hinteren Teil des Wagens befand sich ein abschließbarer, 1,3 m3 großer Schrank für Postsendungen. Hinzu kam eine sogenannte Sommerkarosserie mit Dach. Zugunsten von zwei längs angeordneten Bänken für jeweils fünf Passagiere verzichtete sie auf die verglasten Seitenteile und den Postschrank. Damit stieg die Zahl der Sitzplätze an Bord auf insgesamt zwölf.
Der Kofferaufbau der Lieferwagen fasste insgesamt 4,8 m3 und 900 Kilogramm an Fracht. Zusätzliches Transportvolumen bot ein zweiachsiger Anhänger mit einer Nutzlast von 1.500 Kilogramm. Er besaß ein Planenverdeck, außerdem betätigte ein eigener Bremser über ein waagerecht montiertes Kurbelrad eine Bremse aus Buchenholz, die auf die Hinterräder wirkte.
Im Januar 1909 bestanden die Spezialfahrzeuge von Laurin & Klement in Montenegro erfolgreich die Betriebsprüfung und nahmen noch im Frühling des gleichen Jahres auf allen vier Verkehrslinien den Betrieb auf. Als letztes Exemplar dieser „Post-Serie“ rollte im Sommer 1909 der Pritschenwagen in die damalige Landeshauptstadt Cetinje. Fürst Nikola I. – der spätere König des Landes – war mit der hohen Zuverlässigkeit und dem enormen Nutzwert der L&K-Modelle so zufrieden, dass er einige Fahrer dieser Automobile mit Silbermedaillen würdigte. Und auch das junge böhmische Unternehmen Laurin & Klement durfte sich freuen, mit diesem Auftrag einen guten Ruf erworben zu haben.
Bis zum Jahr 1912 verrichteten die tschechischen Sonderanfertigungen ihren Dienst im zivilen Einsatz, dann wurden sie von der montenegrinischen Armee und dem Roten Kreuz im Ersten Balkankrieg genutzt, der bis 1913 dauerte. Nach dem Ende der Kampfhandlungen waren die Fahrzeuge wieder auf den erneuerten Postlinien unterwegs, bis der Erste Weltkrieg im Januar 1916 mit dem Angriff Österreich-Ungarns auf Montenegro auch das kleine Land auf dem Balkan traf. Nach heutigem Kenntnisstand ist keiner der Omnibusse, Liefer- oder Pritschenwagen aus dem „Černá Hora-Montenegro“-Programm erhalten geblieben.
Weniger bekannte Modelle aus 125 Jahren ŠKODA AUTO
Diese Serie umfasst insgesamt sieben Pressemitteilungen. Bereits erschienen sind:
1. Folge: Laurin & Klement LW-Dreiräder (1905 – 1911)
2. Folge: Laurin & Klement Typ E „Černá Hora-Montenegro“ (1908 – 1909)
Diese Folgen sind in Vorbereitung:
3. Folge: ŠKODA Sagitta (1936 – 1938)
4. Folge: ŠKODA Typ 998 „Agromobil“ (1962)
5. Folge: ŠKODA Typ 990 „Hajaja“ (1963)
6. Folge: ŠKODA BUGGY Typ 736 (1974 – 1976)
7. Folge: ŠKODA FELICIA Fun (1996 – 2000)